Schweizerischer BerufsVerband DramaTherapie

Dramatherapie

Dramatherapie ist die gezielte Nutzung von Drama – und Theaterkonzepten für beraterische und therapeutische Zwecke

 

 

“Die Dramatherapie ist ein aktiver, erfahrungsorientierter Ansatz zur Förderung von Veränderungen. Durch Geschichtenerzählen, projektives Spiel, gezielte Improvisation und Performance werden die Teilnehmenden eingeladen, gewünschte Verhaltensweisen zu proben, sich in Beziehungen zu üben, Flexibilität zwischen den Lebensrollen zu erweitern und jene Veränderung zu vollziehen, die sie in der Welt sehen und sein möchten.”

Nisha Sajnani, PhD, RDT-BCT
Direktorin, Programm für Dramatherapie, New York University

Einführung

Die Dramatherapie ist seit den 1960er Jahren ein eigener Beruf – über die uralte Verbindung zwischen Theater, dramatischen Ritualen und Heilung. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hatte sich das Drama in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales stark entwickelt. Folglich entstand im Vereinigten Königreich und in Nordamerika in den 1970er Jahren eine formale Dramatherapie-Ausbildung; Ende des 20. Jahrhunderts schliesslich wurde die Dramatherapie in vielen Teilen der Welt als psychologische Behandlung für Erwachsene und Kinder im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen anerkannt.

Die Dramatherapie entwickelte sich allmählich in verschiedenen Teilen der Welt, beeinflusst von je unterschiedlichen Personen, Gruppen und Ansätzen, sowohl in Bezug auf die Entwicklung des Theaters als auch auf die Entwicklungen in den Bereichen Psychologie, Soziologie und Psychotherapie.

Antike Wurzeln

Die Entwicklung der Dramatherapie ist eng mit der Entwicklung des Dramas selbst verbunden. Mit dem Drama verwandt ist das Theater, und man könnte sagen, dass der Unterschied zwischen beiden lediglich darin besteht, dass sich das Drama auf einen körperlichen Ausdruck und eine Inszenierung im Allgemeinen bezieht, während das Theater eine spezifische Struktur von Darstellenden, welche von den Zuschauenden getrennt sind, bedingt und einen Aufführungsraum oder eine Bühne umfasst.

Das Theater hat seinen Ursprung in der Antike und vereint Poesie, Mythen, Tanz, Musik und religiöse Rituale. Das Theater entwickelte sich allmählich aus den religiösen Ritualen heraus und erzieherische und zivile Funktionen – für das Publikum! Im antiken Griechenland wurde der Begriff des Dramas geprägt – als Bezeichnung für eine Handlung oder “eine Sache, die getan wird”. Aus dem Drama hat sich das Theater entwickelt, als eine Form von: «Ihr spielt, wir schauen.» Die Grundstruktur des westlichen Theaters wurde mithin im antiken Griechenland konzipiert und kodifiziert.

Aristoteles erkannte die Bedeutung der Katharsis In der griechischen Tragödie, die sowohl in der medizinischen als auch in der rituellen Literatur als eine Art Reinigung oder Läuterung beschrieben wird. Anstatt belastende Emotionen oder Ängste zu beseitigen, ermöglichte das kathartische Element der griechischen Tragödie den Menschen, sich mit diesen Gefühlen zu verbinden, und zwar auf einer persönlichen, kollektiven und sogar universellen Ebene. Aristoteles glaubte, dass die dramatisierte Nachahmung einer Handlung zur Katharsis führt.

Das Konzept der Katharsis als emotionale Erleichterung ist von zentraler Bedeutung für den therapeutischen Einsatz des Dramas. Ebenso wichtig ist die Vorstellung, dass Beteiligung, Identifikation und das Wissen darum, dass die Ereignisse auf der Bühne nicht real sind, aber in diesem Moment als real wahrgenommen werden, zu einer vorübergehenden Aufhebung der Ungläubigkeit oder kritischen Distanz führen. Dies ist ein Akt, an dem sowohl das Publikum als auch die Schauspieler bereitwillig teilnehmen und zusammenarbeiten, um «wirksames» Theater zu schaffen. Diese Ideen haben die Dramatherapie beeinflusst. Ein weiterer Ursprung der Dramatherapie liegt in der archaischen Praxis des Schamanismus.

Weitere Entwicklung

Drama als Therapieform gab es in der modernen westlichen Kultur in Kontinentaleuropa bereits im neunzehnten Jahrhundert. In Frankreich und Deutschland wurden damals in psychiatrischen Kliniken Theater für die Behandlung von Patienten gebaut.

Im frühen 20. Jahrhundert leisteten drei Personen einen großen Beitrag zum Theater als Therapie:

– ein russischer Theaterregisseur namens Nikolai Evreinov, der in seinem 1927 verfassten Buch “Theatrotherapie” Theater und Therapie miteinander verband. Sein Schwerpunkt lag auf dem Prozess der Schauspieler und nicht auf der Aufführung, und er betrachtete Theater und Spiel als wichtig für die Entwicklung der Intelligenz.

– Vladimir Iljine aus Russland, der aus politischen Gründen gezwungen war, sein Land zu verlassen und sich in den 1920er Jahren in Paris niederliess. Er stiess auf die Verwendung von Rollenspielen im psychoanalytischen Kontext, was ihn zur Entwicklung des “Therapeutischen Theaters” inspirierte. Iljine arbeitete mit Gruppen oder Einzelpersonen, wobei er Dramenspiele und Improvisationen einsetzte.

– Jacob Levi Moreno wurde in Rumänien geboren und wuchs in Österreich auf, wo er Medizin und Philosophie studierte und später als Arzt arbeitete. Aus seiner Unzufriedenheit mit der zeitgenössischen Art und Weise, wie Theaterstücke produziert werden, schuf er sein eigenes improvisiertes “Theater der Spontaneität”, das auf Geschichten aus dem wirklichen Leben und nicht auf Fiktion basiert. Moreno zog nach Amerika, wo er die Grundlage für eine therapeutische Methode entwickelte, die er “Psychodrama” nannte.

Das Theater entwickelte sich im Laufe der Zeit als Reaktion auf die sich entwickelnde Welt um es herum. Zu den Regisseuren und Dramatikern, deren Einfluss für die Dramatherapie besonders wichtig ist, gehören:

– Konstantin Stanislavski, der die spontane Aufführung oder Improvisation bei den Proben als Mittel zur Vorbereitung der Schauspieler auf die Aufführung einführte. Seine Technik war darauf ausgerichtet, Erinnerungen zu wecken, die die erforderlichen Emotionen für die auf der Bühne dargestellte Handlung hervorrufen. Indem der Schauspieler reale Situationen mit der Figur assoziiert und diese Gefühle in der Improvisation erforscht, ist er in der Lage, die tatsächlichen emotionalen Reaktionen zu reproduzieren. Ungefähr zu dieser Zeit begann Moreno, ähnliche Techniken zu verwenden, um Situationen aus dem wirklichen Leben zu erforschen, und stützte seine Methode des Psychodramas auf die Improvisation.

– Bertolt Brecht führte in den 1930er Jahren seine Methode der “Verfremdung” im Theater ein. Sein Ziel war es, das Publikum daran zu erinnern, dass die Geschehnisse auf der Bühne nicht real sind, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken. Die Absicht war, das Bewusstsein für politische Ungerechtigkeit zu schärfen und nicht nur zu unterhalten.

– Antonin Artaud, ein französischer Regisseur in den 1930er Jahren, wollte, dass sich das Publikum mit dem Geschehen auf der Bühne so weit identifiziert, dass es mit seinem eigenen Leben und seinen inneren Konflikten konfrontiert wird. Sein “Theater der Grausamkeit” sollte den Zuschauer dazu bringen, eine andere Sichtweise des Lebens zu finden.

– Jerzy Grotowski, ein polnischer Theaterregisseur der 1960er Jahre, stellte die Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum in den Mittelpunkt des Theaters. Die Bühne war nur wichtig, um diese Beziehung zu unterstützen. Die Schauspieler traten manchmal im Kreis auf, vermischten sich mit dem Publikum oder entfernten sich von ihm. Die Schauspieler standen im Mittelpunkt der Aufführung, und die Kommunikation erfolgte durch den Einsatz ihres Körpers und nicht durch die Schrift. Der nonverbale Ausdruck wurde durch Körperübungen und Rituale gefördert.

– Augusto Boal, ein brasilianischer Theaterregisseur, der von der politischen Unterdrückung in den 1970er Jahren betroffen war, sah im Theater eine Möglichkeit, Reformen durchzuführen. Mit Hilfe des Theaters wollte er ein Bewusstsein sowohl für die unterdrückende Situation als auch für die Möglichkeit einer Veränderung schaffen.

Psychodrama, Gestalttherapie, gruppenanalytische Therapie und Systemtheorie sind nur einige der Ansätze, die aus der Entwicklung neuer psychotherapeutischer Praktiken im 20. Jahrhundert hervorgingen und die Entwicklung der Dramatherapie beeinflussten.

Dramatherapie als spezifischer Beruf

Der Begriff Dramatherapie wurde erstmals im Vereinigten Königreich von Peter Slade in einem Vortrag verwendet, den er Ende der 1930er Jahre vor der British Medical Association hielt (Langley, 1995/6). Dies war die erste zeitgenössische Anerkennung der heilenden Eigenschaften des Theaters. Slade interessierte sich für Kinderspiele, als er ein junger Schauspieler war, und erkannte, dass das Drama seinen Ursprung im Spiel hat. Er entwickelte seine Methode in der Erwachsenenpsychiatrie, indem er mit einem Jung’schen Analytiker zusammenarbeitete. In dieser Zeit wurde er eingeladen, vor der British Medical Association zu sprechen, und der Begriff “Dramatherapie” war geboren.

Wie Slade in den 1930er Jahren arbeitete auch Sue Jennings in den 1960er Jahren nicht als Lehrerin sondern als Sozialpädagogin in einer Schule, die Selbsterfahrung mit dem Ziel der Verhaltensänderung förderte. Sie stellte fest, dass die Kinder, die am stärksten im Unterricht störten, in ihre Theaterkurse geschickt wurden und eine gewisse Verhaltensänderung zeigten. Später arbeitete sie mit Gordon Wiseman zusammen, um das Remedial Drama Centre in London zu gründen. Sue Jennings hat viel über Dramatherapie geschrieben und war eine Pionierin, die ihr Wissen und ihre Erfahrung in zahlreiche Dramatherapie-Ausbildungen eingebracht hat.

Seit den 1970er Jahren wuchsen vielerorts Ausbildungen und Praktiken der Dramatherapie. 1991 rief eine Gruppe von künstlerisch Therapierenden das European Consortium of Arts Therapies Training and Education (ECArTE) ins Leben. Die Gründung der European Federation of Dramatherapy (EFD) im Jahr 2013 und der World Alliance of Dramatherapy (2017) verdeutlichen die Professionalisierung und die breite Anwendung der Dramatherapie in der ganzen Welt.

Professionelle Entwicklung in der Schweiz

In den 1990er Jahren lernte Brigitte Spörri Weilbach, die Pionierin der Dramatherapie in der Schweiz, die Dramatherapeutin Dr. Susana Pendzik kennen. Infolge dieser Begegnung begannen sie Dramatherapie-Workshops und Kurzausbildungen in der Schweiz anzubieten. Im Jahr 2000 hat Brigitte Spörri Weilbach einen einjährigen CAS in Dramatherapie (Certificate of Advanced Studies) an der heutigen Fachhochschule OST St. Gallen aufgebaut. Dr. Sue Jennings, Prof. Dr. Mooli Lahad und Dr. Susana Pendzik gehörten von Beginn an zum Ausbildungsteam. Vier Jahre später gründete Brigitte Spörri Weilbach den Berufsverband für Dramatherapie (verein dramatherapie.ch) und 2011 das Schweizerische Ausbildungsinstitut für Dramatherapie (dramatherapie.ch BildungsInstitut, DTI).

Seit 2012 bietet das dramatherapie.ch BildungsInstitut sowohl für Deutschschweizer als auch für Westschweizer Teilnehmende eine vollständige Ausbildung in Dramatherapie an, die den Anforderungen des Dachverbandes OdA Artecura entspricht. 2011 erlangte die OdA Artecura die Berufsanerkennung der Kunsttherapien in der Schweiz und vergibt seither ein qualifiziertes Berufsdiplom mit den Titeln: Kunsttherapeutin/Kunsttherapeut mit eidgenössischem Diplom, Fachrichtung Bewegungs- und Tanztherapie, Drama- und Sprachtherapie, Mal- und Gestaltungstherapie, Intermediale und Musiktherapie.

Lucy Newman

Bibliographie
– Casson, J. (2016). Schamanismus, Theater und Dramatherapie. in Routledge International Handbook of Dramatherapy. Routledge. London.
– Jennings, S. et al. (1998). The handbook of dramatherapy. Routledge. London.
– Jones, P. (1996). Drama als Therapie. Theater als Leben. Routledge. London.
– Langley, D. (2006). Einführung in die Dramatherapie. Sage Publications. London.
– Morris, N. (2018). Dramatherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörung. Routledge. London.
– Pendzik, S. (2016). Dramatherapy and the feminist tradition. in Routledge International Handbook of Dramatherapy. Routledge. London.
– Pitruzzella, S. (2004). Introduction to Dramatherapy. Routledge. London.
– Pitruzzella, S. (2011). Drama und Heilung im antiken Griechenland: Demeter und Asklepios in der Dramatherapie Official Journal of the British Association of Dramatherapists. Band 33 – Nummer 2 – Juli 2011. Routledge. London.